Multiple Sklerose (MS)

Die Diagnose Multiple Sklerose ist erschütternd und stellt nicht nur das Leben des Betroffenen auf den Kopf, sondern auch das der Angehörigen. Jetzt heißt es, den Verstand zu schärfen, gegen die Niedergeschlagenheit und Ängste anzukämpfen und das persönliche Netzwerk neu auszurichten. Inzwischen gibt es umfangreiche Literatur und viele Webseiten, die sich mit den Grundlagen der Erkrankung befassen, neue Erkenntnisse veröffentlichen und verschiedene Formen der Unterstützung anbieten. Die Krankheit fühlt sich deshalb nicht weniger schwer an, aber die Betroffenen fühlen sich der Krankheit weniger ausgeliefert.

Was ist MS?

Der Begriff Multiple Sklerose, abgekürzt MS, weist zunächst auf die vielen Verhärtungen hin, die durch eine vermehrte Bindegewebebildung entstehen. Sklerose kommt aus dem griechischen (skleros) und bedeutet hart. Als Folge verlieren die betroffenen Areale ihre Funktionsfähigkeit. Encephalomyelitis disseminata (ED) ist der lateinische Name: Encephalo, das Gehirn betreffend; Myelitis zeigt an, dass sich das Mark (griechisch: myelos, das Mark; myelon, das Rückenmark) entzündet hat und disseminata lässt sich mit verbreitet übersetzen. Die Entzündungen nehmen die Patienten als Krankheitsschub wahr. Multiple Sklerose wurde diese Erkrankung bereits vor einhundert Jahren genannt, als erkannt wurde, dass sich verschiedene Stellen im Gehirn und im Rückenmark entzündeten und diese nach dem Abklingen der Entzündung vernarbten. MS gibt den Ärzten und Forschern auch heute noch viele Rätsel auf. Unklar ist, wie die Krankheit entsteht. Nicht zu Unrecht wird sie auch die Krankheit mit den 1000 Gesichtern genannt. Multiple Sklerose kann ohne Vorankündigung kommen und bleibt in jedem Fall ein Leben lang.

Die Zahl der an MS-Erkrankten nimmt insbesondere in den Industrienationen deutlich zu.  Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Während sich in Deutschland die Zahl der Patienten in den letzten vier Jahrzehnten verdoppelt hat(1), verzeichnet Japan eine Vervierfachung seit den 1980er Jahren(2). Inzwischen wird die Zahl weltweit auf etwa zwei Millionen geschätzt, die Zahl in Deutschland beträgt ca. 200 Tausend. Die Neuerkrankungsrate (Inzidenz) pro Jahr und 100 Tausend Einwohner wird mit 3,5 bis fünf angegeben. Eine Erklärung für das Phänomen gibt es nicht. Sicherlich werden dank moderner Untersuchungsmethoden, MS Patienten immer besser identifiziert, doch ist dies als alleiniger Grund nicht plausibel.

Multiple Sklerose als Autoimmunkrankheit

Es mag absurd klingen: Bei Multipler Sklerose greift das eigene Immunsystem das eigene Nervensystem an! Das ist das Kennzeichen einer Autoimmunerkrankung. Wie kann es dazu kommen? Schuld sind falsch programmierte T-Zellen. T-Lymphozyten oder T-Zellen (T für Thymus, wo sie reifen) sind eine spezialisierte Gruppe der weißen Blutkörperchen. Sie sind für die erworbene Immunabwehr verantwortlich. Im Thymus „erlernen“ sie während der Reifung, zwischen körpereigenen und fremden Stoffen zu unterscheiden. Körperfremde Substanzen werden angegriffen. T-Zellen, die körpereigene Strukturen angreifen, werden vernichtet. Wird eine Zelle dieser autoimmun reagierenden Zelle übersehen, kann sie sich vervielfältigen und wird als falsch programmierte T-Zelle in den Kreislauf entlassen. Das sensible Gehirn wird normalerweise über die Blut-Hirn-Schranke vor Giftstoffen und vor falsch programmierten T Zellen geschützt. Die autoimmun aktiven T-Lymphozyten sind jedoch in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Warum ihnen das gelingt, ist gegenwärtig noch nicht geklärt. Nachdem sie bis in das Gehirn vorgedrungen sind, beginnen sie, körpereigene Zellen anzugreifen.

Angriffspunkt sind die Oligodendrozyten (griechisch: oligos, wenig; dendron, Baum; zytos, Zelle). Sie gehören zu den Gliazellen, die als Stützgerüst für die Nervenzellen (Neuronen), diese voneinander elektrisch isolieren. Realisiert wird dies durch das Myelin (griechisch: myelos, Mark, Gehirn), das die Axone der Nervenzellen umgibt. Während die T-Zellen die Oligodendrozyten angreifen, senden sie Botenstoffe aus, die weitere Komponenten der Immunabwehr anlocken. An den Myelinscheiden entstehen Entzündungsherde. Durch die Zellteilung können die Tochterzelle weitere Myelin-Regionen angreifen, sodass weitere Entzündungsherde entstehen. Das Myelin wird zerstört, die Isolierung der Nervenfasern aufgehoben und die Nervenimpulse verlangsamen sich und deren Weiterleitung ist gestört. Als Folge sind die über diese Areale gesteuerten Körperfunktionen beeinträchtigt.

Ursachen und Risikofaktoren einer Multiplen Sklerose

Genaue Ursachen für die Multiple Sklerose sind noch nicht bekannt. Es werden zurzeit eine Reihe von Faktoren diskutiert, die eine Rolle spielen. Dazu gehören genetische Faktoren, wobei die Krankheit selbst nicht vererbt wird, sondern eher die Krankheitsneigung. Im Wechselspiel mit verschiedenen Umweltfaktoren können diese als Krankheitsauslöser fungieren. Virale Infektionen durch Maser-, Herpes- oder Epstein-Barr-Viren, jugendliche Fettleibigkeit, Rauchen und ein niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut erhöhen das Risiko einer MS Erkrankung(3).

Untersuchungen zur Korrelation zwischen Sonnenlicht und dem Auftreten von MS legen nahe, dass in Gebieten mit stärkerer Sonneneinstrahlung Multiple Sklerose weniger häufig auftritt. Außerdem scheint es einen Zusammenhang zwischen der natürlichen Sonnenstrahlung und der Anzahl der Schübe zu geben(4). Kritiker merken an, dass dieser vermeintliche Zusammenhang unter Umständen der Tatsache geschuldet ist, dass sich MS Patienten mit häufigen Schüben bevorzugt in Innenräumen aufhalten und die Statistik diese Korrelation stärker repräsentiert als den Einfluss des Sonnenlichtes. Unter Berücksichtigung des Serumspiegels an 25-Hydroxy-Vitamin-D3 konnte in Studien gezeigt werden, dass bei niedrigen Werten das MS-Risiko erhöht war(5). 25-Hydroxy-Vitamin-D3 (25-OH-Vitamin D), auch Calcidiol genannt, ist eine Vorstufe des Vitamin D3 und ein wichtiger Laborparameter. Er zeigt an, ob genügend Vitamin D, beispielsweise für das Immunsystem, zur Verfügung steht oder ob ein Vitamin-D-Mangel vorliegt.

Wird MS vererbt? Die Rolle der Gene bei Multipler Sklerose

Umfangreiche Studien beschäftigen sich mit der Frage, welche Gene dazu beitragen, Menschen empfänglich für eine MS-Erkrankung zu machen. Inzwischen wurde für mehr als 200 Gene ein solcher Zusammenhang gefunden. Eine der größten Studien wurde 2011 in Oxford durchgeführt. Wissenschaftler verglichen die Gene von mehr als 9700 Patienten mit denen von 17400 gesunden Probanden. Sie identifizierten Gene, die Aufgaben im Immunsystem besitzen, beispielsweise mit der Funktion der T-Lymphozyten im Zusammenhang stehen. Ein weiterer Komplex von Genen zeigt ebenfalls Veränderungen: der sogenannte Histokompatibilitätskomplex (englisch: major histocompatibilitx complex; MHC). Diese Gene codieren Eiweiße, die für die Immunerkennung von Bedeutung sind und zum Teil auch bei anderen Autoimmunerkrankungen wie Diabetes oder Rheuma verändert sind. Gleichfalls bestätigen die Resultate die Vermutung, dass der Vitamin-D-Stoffwechsel eine Rolle spielt, weil zwei der gefundenen Gene im Vitamin D Stoffwechsel wichtig sind(6).

Fünf Jahre später, im Jahre 2015, wurden in einer umfangreichen genetischen Studie, an der zwei namhafte Institute in München beteiligt waren, vier neue Risikogene identifiziert und gleichzeitig das Zusammenspiel von genetischen und Umwelt-Einflüssen untermauert(7).  Interessanterweise sind die vier neu erkannten Risikogene in epigenetische Mechanismen involviert. Epigenetik ist ein Fachgebiet in der Biologie, das sich mit Veränderungen des Phänotyps, des Erscheinungsbildes, befasst, im Gegensatz zu den Veränderungen, die durch die Basensequenz eines Gens (zum Beispiel bei einer Mutation) hervorgerufen werden. Sie beantwortet Fragen, wie: Welche Faktoren können Gene aktivieren, an- oder abschalten? Epigenetische Veränderungen sind reversibel und werden durch Umweltbedingungen beeinflusst.

Multiple Sklerose und die Darmflora

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Ein wesentlicher Bestandteil des Immunsystems stellt unser Darm dar. Die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm, die Darmflora oder intestinale Mikrobiota setzt sich überwiegend aus nicht-pathogenen Bakterien zusammen. Die Mikrobiota stellen einen wesentlichen Stimulus für das Immunsystem dar. Sie beeinflussen über Milieu-Änderungen die Wirkung der Immunzellen und modulieren auf diese Weise das Immunsystem(8). Wissenschaftler widmeten sich der Frage, ob es Veränderungen in der Darmflora gibt, die auf die MS-Erkrankung zurückzuführen ist. Sie untersuchten 50 eineiige Zwillingspaare, von denen jeweils ein Zwilling die Diagnose MS hat, während der andere gesund ist. Da eineiige Zwillinge das gleiche Erbgut besitzen, spricht das gegen eine genetische Ursache von MS. So konnte ein genetisch bedingter Einfluss auf die Darmflora nahezu ausgeschlossen werden(9). Der Vergleich offenbarte interessante Unterschiede und ein weiteres bemerkenswertes Resultat: Keimfrei gehaltene Mäuse, die die Darmflora der erkrankten Zwillinge erhielten, erkrankten nahezu alle an einer Hirnhautentzündung mit MS vergleichbaren Merkmalen. Dies wurde als Beleg dafür gewertet, dass in der Darmflora Faktoren enthalten sind, die Multiple Sklerose auslösen können.

Die Zahl der Mikroorganismen ist immens groß. Weitere Untersuchungen werden sich damit beschäftigen, diese einzugrenzen und zu spezifizieren. Die Übertragung einer gesunden Darmflora im Sinne einer „Fäkaltransplantation“ ist aus gegenwärtiger Sicht keine Therapiemöglichkeit.

MS Symptome sind vielfältig und sehr individuell

Neben Gefühls-, Gleichgewichts-, und Sehstörungen sind anhaltende Müdigkeit (Fatique) und Kraftlosigkeit sowie Lähmungen mit die häufigsten Symptome bei Multipler Sklerose.

MS Symptome – was ist typisch für die Multiple Sklerose?

Bei einer Erkrankung wie der Multiplen Sklerose wird die beeinträchtigte Körperfunktion durch die sie steuernde Gehirnregion bestimmt. Damit unterscheiden sich die Art und das Ausmaß der Beschwerden sowie der zeitliche Verlauf. Muskelschwächen, Lähmungen oder Sehschwäche (bei Beteiligung des Sehnervs), Spastik oder Gefühlsstörungen können Hinweise auf eine MS-Erkrankung sein. Nicht selten kommen die ersten Beschwerden plötzlich und trotz vorherigem Wohlbefinden. Junge Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren, die bis dahin körperlich fit waren, kann es treffen und Menschen jenseits des 45. Lebensjahres.

Gefühls- und Sensibilitätsstörungen bei Multipler Sklerose (MS)

Trotz der vielfältigen möglichen Anzeichen scheinen veränderte Empfindungs- und Gefühlswahrnehmungen häufiger am Anfang bemerkbar zu sein. Statistiken weisen etwa 30 bis 50 Prozent der Patienten aus, die ein taubes Gefühl in Armen und Beinen, Pelzigkeit in den Fingern, verringertes Berührungsempfinden oder Kraftlosigkeit beschreiben. Nicht selten zeigen sich herabgesetzte Feinmotorik, unsicherer Gang und Stehvermögen sowie sexuelle Störungen, Beeinträchtigungen des Geschmacks und Geruchssinns bei den Betroffenen.

Seh- und Koordinationsstörungen bei MS

In etwa 20 bis 30 Prozent der Fälle gehören Funktionsstörungen des Auges zu den frühen Anzeichen. Einige Patienten klagen über einen Ausfall im Zentrum des Blickfeldes oder getrübtes Sehen, wie durch eine Milchglasscheibe oder als Doppelbilder. Koordinationsprobleme zählen ebenfalls zu den ersten Anzeichen.

Erschöpfungssyndrom bei Multipler Sklerose

Das plötzliche Auftreten von Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Lustlosigkeit, das schließlich chronisch wird, lässt die Arme und Beine schwer werden, vermittelt das Gefühl, kraftlos zu sein und verlangsamt die Denkprozesse. Dieses chronische Erschöpfungssyndrom (medizinisch: Fatigue) betrifft den körperlichen wie auch den geistigen und emotionalen Zustand. Die Betroffenen ziehen sich zurück und begeben sich somit in eine soziale Isolation.

Spastik als MS-Symptom

Spasmen (griechisch: spasmos, Krampf) zeichnen sich durch anhaltende Spannungszustände der Muskulatur aus, die die Extremitäten zu unnatürlichen Bewegungen oder Haltungen zwingt. Muskelkrämpfe, Zuckungen oder unkontrollierbare Muskelkontraktionen treten als Folge gestörter Hirnareale auf und sind kein Zeichen einer psychischen Erkrankung.

Lähmungen bei Multipler Sklerose

Zu Beginn ist in den meisten Fällen eine Hand mit eingeschränkter Greiffunktion betroffen. Später weiten sich die Lähmungserscheinungen aus und können dann den gesamten Arm oder eine Körperseite betreffen. In seltenen Fällen treten bereits im Frühstadium Schluckbeschwerden und Sprechstörungen als Folge von Lähmungen der Gesichtsmuskulatur auf.

Störungen im Bewegungsapparat bei Multipler Sklerose

Neben den Lähmungen und Spastiken kommen Schmerzen in den Gelenken und den Bändern sowie Muskelschmerzen hinzu. Die Bewegungsstörungen und motorischen Lähmungen können bis zur Bewegungsunfähigkeit führen. Dann sind die Patienten auf Hilfsmittel zur Fortbewegung angewiesen.

Organsysteme in Mitleidenschaft gezogen

Selten kommt es bereits in einem frühen Erkrankungsstadium zu Funktionsstörungen innerer Organe. In siebzig Prozent der Fälle ist das eine neurogene Blasenstörung mit Schwierigkeiten beim Wasserlassen und Zurückhalten des Harns.

Weitere unspezifische Symptome bei MS

Das Immunsystem der Patienten ist stark belastet. Die Patienten entwickeln häufig unspezifische Beschwerden wie Atemprobleme, Kopf- oder Bauchschmerzen oder einen Tinnitus(10).

Multiple Sklerose – Verlauf und Prognose

Die Krankheit verläuft in Schüben oder voranschreitend, also progredient. Zu Beginn wird die Krankheit in 80 Prozent der Fälle durch einen Schub bemerkbar. Als Schübe wird das Auftreten neuer Symptome bezeichnet, die länger als 24 Stunden bestehen bleiben und keine andere Erklärung als die Erkrankung selbst haben. Es werden meistens keine Ursachen gefunden, die den Schub auslösen. Wahrscheinlich begünstigt Stress die Erkrankungsschübe. Zwischen den einzelnen Schüben liegen mehr als 30 Tagen. Seltener sind Verläufe, die bereits von Beginn an chronisch-voranschreitend, also primär progredient, und ohne erkennbare Schübe sind. Häufiger gehen sie später erst in den progredienten Verlauf über (sekundär progredienter Verlauf). Medizinisch werden die Verläufe anhand charakteristischer Verlaufskurven bildlich dargestellt(11). Trotz der Unterschiede im Verlauf und in der Schwere lassen sich Gemeinsamkeiten definieren, die die Deutsche Gesellschaft der Neurologen (DGN) als drei Verlaufsformen und eine Vorstufe in Leitlinien zusammengefasst hat(12).

Schubförmiger Multiple Sklerose Verlauf (englisch: relapsing-remitting): RRMS

Die Abkürzung RRMS steht für relapsing remitting MS (deutsch: rückkehrende, zeitweilig zurückgehende MS). Nahezu 90 Prozent der Patienten erleben Krankheitsschübe, die bis zu sechs Wochen anhalten können und von neurologischen Beschwerden geprägt sind. Danach folgen Phasen mit weniger oder gar keinen Symptomen, also eine inkomplette oder komplette Remission.

Sekundär progredienter Verlauf: SPMS

Bei einer großen Zahl von Patienten tritt im Laufe der Zeit eine allmähliche klinische Verschlechterung ein. Dieser progrediente Verlauf ist langsam und kann mit oder ohne Schübe erfolgen.

Primär progrediente MS: PPMS

Ein geringer Teil der Patienten zeigt bereits im Anfangsstadium kontinuierlich stärker werdende neurologische Ausfälle. Etwa zehn bis 15 Prozent der Patienten, häufig bei einem Krankheitsbeginn ab dem 40. Lebensjahr, sind davon betroffen. Viele von ihnen haben keine Erkrankungsschübe. Diese Form wird typischerweise von spastischen Gangstörungen begleitet.

Klinisch isoliertes Syndrom, KIS

Kennzeichnend beim klinisch isolierten Syndrom ist, dass die Beschwerden einen bestimmten neurologischen Bereich betreffen. Es kann sich hierbei um eine MS-Vorstufe handeln. Trotz MS-typischer Symptome gilt die Krankheit erst als erwiesen, wenn weitere Kriterien erfüllt sind und zusätzliche Befunde vorliegen.

Prognose

Für ein Drittel der Betroffenen ist, gemäß einer wissenschaftlichen Einschätzung, ein Leben ohne größere Behinderungen trotz MS-Diagnose möglich. Ein zweites Drittel erlebt durch die neurologischen Defizite Beeinträchtigungen im Alltag, können jedoch einem Beruf nachgehen und eine Familienplanung in Erwägung ziehen.  Nur ein Drittel ist wegen der massiven Einschränkungen berufsunfähig und pflegebedürftig. Während für zwei Drittel der MS-Patienten keine verkürzte Lebenserwartung nachgewiesen werden konnte, ist diese bei der letzten Gruppe etwa um sechs bis 10 Jahre im Vergleich zur allgemeinen Lebenserwartung kürzer.

Diagnosestellung bei Multipler Sklerose

Bevor die Diagnose MS gestellt wird, sollten andere Krankheiten ausgeschlossen werden, um das Risiko einer Fehldiagnose zu vermeiden. Mittels MRT und Liquoruntersuchungen sowie dem Krankheitsverlauf, lässt sich die Diagnose MS heute ziemlich gut stellen.

MS Ja oder Nein? – mögliche Diagnoseverfahren

Anamnese und neurologische Untersuchungen bei Multipler Sklerose

Der erste Gang nach Auftreten der Symptome führt zu einem Allgemeinmediziner. In einem ausführlichen Gespräch fasst dieser frühere Beschwerden, eventuelle Medikation und Erkrankungen in der Familie zusammen und wird schließlich eine Überweisung an einen Spezialisten, den Neurologen, veranlassen.

Dieser testet Beweglichkeit, Gleichgewichtssinn, Koordination und die Funktion der Sinnesorgane. Weitere Untersuchungen schließen sich an: im Blut und im Liquor sowie bildgebende Verfahren. Ziel ist es, entscheidende Hinweise zum Ausschluss anderer Erkrankung zu erhalten und Veränderungen nachzuweisen, die eine MS-Erkrankung bestätigen.

Ausgeschlossen müssen beispielsweise infektiöse Erkrankungen, Entzündungen der Gefäße oder autoimmune entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, Kollagenosen, Stoffwechselkrankheiten oder psychische Leiden werden.

Blutuntersuchung bei MS

Es gibt zurzeit keine Parameter im Blut, die den Verdacht einer MS Erkrankung bestätigen. Blutuntersuchungen dienen vielmehr dem Ausschluss anderer Ursachen wie Nieren- oder Lebererkrankungen oder entzündlicher Prozesse im Körper.

Liquordiagnostik: Untersuchung des Nervenwassers bei Multipler Sklerose

Mit der Untersuchung des Nervenwassers (Liquor cerebrospinalis) befindet man sich deutlich näher dem Geschehen als bei der Analyse im Blut. Zwischen dem zweiten und fünften Lendenwirbel entnimmt der Arzt mit einer Nadel (Lumbalpunktion) den Liquor und lässt ihn analysieren. Bestimmte Eiweiße (als sogenannte spezifische oligoklonale Eiweißbanden) und die Anwesenheit von Entzündungszellen sprechen für eine MS.

Bildgebende Untersuchungen: MRT bei Multipler Sklerose

Die Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT) stellt das Gehirn detailreich dar und macht auf diese Weise krankheitsbedingte Veränderungen bei etwa 85 Prozent bereits in frühen Stadien sichtbar. In fortgeschrittenen Stadien lassen sich bei nahezu allen Patienten die Entzündungsherde visualisieren. In Abhängigkeit von der Art der neurologischen Störungen kann ein MRT des Rückenmarks zusätzliche Aufschlüsse geben.

Spezielle Nervenuntersuchungen bei MS

Der Neurologe kann über einen speziellen Funktionstest abschätzen, welche Einschränkungen und an welcher Stelle vorliegen. Möglich ist dies durch den Einsatz sogenannter evozierter (lateinisch: evocare; hervorrufen) Potenziale, mit denen bestimmte Nerven oder Sinnesorgane gereizt und die dabei ausgelösten Potenzialunterschiede im EEG (Elektroenzephalogramm) ausgewertet werden. Die Stimulation löst im Gehirn ein Signal aus, das Auskunft darüber gibt, ob es eine Verzögerung oder eine verminderte Stärke bezüglich der Reizbarkeit gibt. Visuelle evozierte Potenziale (VEP) messen die Reizleitung über den Sehnerv, akustisch evozierte Potenziale (AEP) über den Hörnerv und des Kleinhirns und somatosensible evozierte Potenziale (SEP) geben die Berührungsempfindlichkeit, beispielsweise der Hände und Füße, wieder.

McDonald-Kriterien: Wann ist die Diagnose Multiple Sklerose gesichert?

Internationale Experten haben alle Symptome und möglichen Ergebnisse aus den verschiedenen Untersuchungsmethoden mit dem Ziel zusammengetragen, Kriterien zu definieren, die eine MS ausschließen oder bestätigen.  Die MS-Diagnose gilt als gesichert, wenn eine räumliche und zeitliche Verteilung der Krankheitszeichen gegeben ist. Dies trifft zu, wenn es einen zweiten Krankheitsschub gegeben hat oder das MRT neue Herde zeigt. Im Jahre 2017 erfolgte die letzte Anpassung durch ein internationales Expertengremium(13). Nach wie vor steht im Mittelpunkt die frühe Diagnose mit dem Ziel, früh und effizient zu therapieren.

Im Unterschied zur Vorgänger-Version von 2010 wurde die über gezielte MRT Untersuchungen zeitlich nachweisbare veränderte Entzündungsaktivität unter Verwendung von Kontrastmitteln stärker bewertet. So lassen sich in Aufnahmen mit und ohne Kontrastmittel neue Entzündungsherde nachweisen, die eine MS Diagnose stärken. Außerdem erlangen Liquor-Befunde größere Bedeutung, beispielsweise oligoklonale Eiweißbanden als Merkmal einer zeitlichen Dissemination (Verbreitung). In der Folge sollten sich die Zahl der Verläufe, die noch nicht als MS diagnostiziert wurden und zu einer starken Patientenverunsicherung führen, verringern. Kritiker bemängeln, dass auf diese Weise die Pharmaindustrie profitiert, die nun häufiger und früher ihre Therapeutika an den Patienten bringen kann.

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(1)Thomas Müller, Ärztezeitung (https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/multiple_sklerose/article/960411/multiple-sklerose-heute-viele-ms-kranke-gibt.html

(2)https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/multiple_sklerose/article/946497/ms-tagung-ms-praevalenz-steigt-weltweit-liegt-ernaehrung.html

(3)Dobson R, Giovannoni G. Multiple sclerosis – a review. Eur J Neurol. 2018 Oct 9. doi: 10.1111/ene.13819. [Epub ahead of print] Review. PubMed PMID: 30300457.

(4)Ascherio A, Munger KL. Environmental risk factors for multiple sclerosis. Part

II: Noninfectious factors. Ann Neurol. 2007 Jun;61(6):504-13. Review. PubMed PMID: 17492755

(5)Munger KL, Levin LI, Hollis BW, et al.:Serum 25‐hydroxyvitamin D levels and risk of multiple sclerosis. JAMA 2006; 296: 2832–2838.

(6)Sawcer S, et al. International Multiple Sclerosis Genetics, Consortium, Wellcome Trust Case Control Consortium 2. Genetic risk and a primary role for cell-mediated immune mechanisms in multiple sclerosis. Nature 2011; 476:214–219.

(7)Andlauer TFM et al.: Novel multiple sclerosis susceptibility loci implicated in epigenetic regulation.  Science Advances  17 Jun 2016:Vol. 2, no. 6, e1501678

(8)Meier R. Die Abwehr unterstützen – Wie die intestinale Mikrobiota das adaptive und angeborende Immunsystem stimulieren kann. Aktuel Ernahrungsmed 2012; 37 (Suppl 1): S11-S14

(9)Berer K et al.: Gut microbiota from multiple sclerosis patients enables spontaneous autoimmune encephalomyelitis in mice. PNAS October 3, 2017 114 (40) 10719-10724

(10) https://www.apotheken-umschau.de/print/article/18894

(11)Verschiedene Verlaufsformen der MS. Quelle: Heinz Wiendl/Bernd C. Kieseier: Multiple Sklerose. Klinik, Diagnostik und Therapie, Kohlhammer Verlag 2010.

(12) https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/030050l_S2e_Multiple_Sklerose_Diagnostik_Therapie_2014-08_verlaengert.pdf

(13)Thompson AJ, Banwell BL, Barkhof F, et al. Diagnosis of multiple sclerosis: 2017 revisions of the McDonald criteria. Lancet Neurol. 2018 Feb;17(2):162-173. Doi: 10.1016/S1474-4422(17)30470-2. Epub 2017 Dec 21. Review. PubMed PMID: 29275977.

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